Gespräch zur aktuellen Situation in Afghanistan

O. ist Anfang zwanzig und lebt seit einigen Jahren in Coesfeld. Geboren wurde er in Afghanistan, wo er auch seine Kindheit verbracht hat. Im Interview berichtet er, wie er die letzten Wochen seit der Machtübernahme der Taliban erlebt hat. Um Familie und Freunde zu schützen, möchte er anonym bleiben.

Blick auf Kabul, 2016. Foto: BellalKhan, CC BY-SA 4.0

Wie hast du die letzten Wochen erlebt, in denen die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben?

Als ich gesehen habe wie diese Unmenschen der Nationalflagge von Afghanistan abgeschafft haben, ist mein Herz gebrochen. Ich habe nur an die ganzen Opfer und das vergossene Blut der unschuldigen Menschen gedacht, als alles in einem Augenblick zu Grunde ging. Die Geschichte von Afghanistan ist voller Gewalt und Ungerechtigkeiten. Die nicht gerade selbständige Regierung war ein kleines bisschen Hoffnung, dass sich alles zum Positiven wendet. Aber jetzt, mit diesem Regime, sind wir hunderte von Jahren zurück gegangen, dazin, wo Frauen null Rechte haben, wo alles auf einem primitiven Leben und dem Versprechen auf den Himmel basiert.

Ich habe zurzeit keine Hoffnung auf Frieden oder Gerechtigkeit in Afghanistan. Es fällt mir sehr schwer an die Kinder zu denken, die nicht fröhlich sein dürfen und alles was sie sehen ist nur der verzweifelte Blick der Väter und Mütter. Mein Herz brennt und ich frage mich, was wir getan haben, um das zu verdienen? Wieso kann dieses Stück Erde nie Frieden und Freude erleben?

Ich versuche mich auf irgendeine Art und Weise abzulenken aber es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an meiner Heimat und die unschuldige Menschen, die jetzt die Hölle erleben denke. Ich habe Albträume und bin sehr mitgenommen aber ich kann einfach nichts tun als warten und hoffen, dass irgendein Wunder geschieht.

Bist du in Kontakt mit Freunden und Familie in Afghanistan? Wenn ja, wie geht es denen?

Ja, es ist gerade unvorstellbar wie viel Angst jeder hat und die ganze Ungewissheit ist kaum auszuhalten. Keiner traut sich, rauszugehen und meisten Geschäfte haben geschlossen. Gerade an Lebensmittel und den notwendigsten täglichen Bedarf zu kommen, ist schwierig geworden.
Die Taliban posieren mit den gestohlenen Waffen und Fahrzeuge der Regierung und jagen den Menschen Angst ein. Die Atmosphäre ist eisig und es wurde noch nicht akzeptiert das es so weitergehen soll. In manchen Städten gab es Demonstrationen was mit toten und verwundeten Menschen endete.

Deutsche Politiker sagen „Das konnte keiner wissen“. Stimmt das aus deiner Sicht? Hat es dich überrascht, wie schnell es zuletzt ging?

Also Gerüchten zufolge war das alles geplant und ich erinnere mich noch dran, dass schon vor zwei Jahre die Leute in Afghanistan Angst hatten, dass die Taliban kommen werden. Nun ist es so blitzartig auch alles passiert!
Ich denke nicht das alles nicht absehbar war und die Politiker jetzt überrascht sind. Was genau dahinter steckt weiß leider keiner aber offensichtlich haben welche Nutzen davon, die sich nicht davon abschrecken lassen, wenn unschuldige Menschen sterben!

Siehst du trotz der Hoffnungslosigkeit Möglichkeiten, was den Menschen in Afghanistan und denen auf der Flucht jetzt helfen könnte?

Helfen kann nur ein Wunder meine Meinung nach!
Wir reden von Millionen Menschen die gerettet werden müssen. Unter diesem Regime können Kinder nur zur Schule gehen um das Lesen des Quran zu lernen. Verwitwete Frauen und junge Mädchen werden zur Zwangsheirat verurteilt. Es wird Zwangssoldaten geben.
Selbst fliehen aus diesem Land ist zurzeit fast unmöglich, weil die Grenzen zu den Nachbarländern vom Regime überwacht werden.
Ich weiß nicht, wie man den ganzen Menschen, die gerade fliehen, helfen kann. Vielleicht Hilfseinsätze in den Nachbarländern planen oder das nötigste zum Überleben zur Verfügung stellen.

Vielen Dank für das Interview!